Mehr als jede dritte Frau, die mehr als 40 Jahre in Vollzeit arbeitet, wird eine gesetzliche Nettorente von weniger als 1.000 Euro erhalten. Das Schlimme: Auch vor 30 Jahren war das schon so und geändert hat sich wenig. Der Hauptgrund ist, dass Frauen besonders häufig gezwungen sind, ihren Job einzuschränken und in Teilzeit zu arbeiten, da auf ihren Schultern noch immer das Gros der Erziehungs- und Pflegeaufgaben lastet. Cordula Vis-Paulus ist Vermittlerin und die schlechte finanzielle Situation vieler Frauen ist ihr seit Jahren ein Dorn im Auge. NewFinance hat mit der Expertin gesprochen.

NewFinance: Bei der Meldung stören Sie sich offenbar schon am Einstieg „jede dritte Frau“. Ich sehe förmlich, wie Sie die Augenbrauen hochziehen. Warum?

Cordula Vis-Paulus: Wir lesen von jeder x-ten Frau, reden also über „die Frauen“. Es werden Durchschnittsrenten von Männern und Frauen ermittelt. Es heißt, „die Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ muss besser werden. Man sagt, „Frauen“ investieren zwar seltener in Aktien, aber auch besser. Das sind viele Pauschalisierungen, die ich auch täglich in meiner Arbeit erlebe. Und sie sind nicht hilfreich. „Die Frauen“ sind sehr unterschiedlich alt, haben ausgesprochen unterschiedliche Beziehungen zu Finanzen, leben in äußerst unterschiedlichen Beziehungen, haben unterschiedliche Herausforderungen zu bewältigen.

Genau diese Verallgemeinerungen, in Kontrast gestellt zu den individuellen Lebenssituationen, ist einer der Gründe, warum sich Frauen nicht angesprochen fühlen und daher die Schwelle sehr hoch ist, die Vorsorge in die Hand zu nehmen. Bei all den unterschiedlichen Meinungen am Markt lohnt es sich, einmal genau zu schauen, um welche Frauen in welchen Situationen es geht. Wie alt sind sie? Haben sie Kinder? Wie sieht die Lebenssituation aus, die Ausbildung, das Einkommen, der finanzielle Hintergrund? Berücksichtigt man all diese Faktoren – und die Aufstellung mag unvollständig sein – zeichnet sich ein heterogenes, buntes Bild mit einigen Überlappungen.

NewFinance: Schauen wir einmal genauer hin und nehmen einen Single. Was ist für eine ausreichende Rente zu tun?

Cordula Vis-Paulus: Damit die Altersvorsorge reicht, sollten ein paar Gesichtspunkte beachtet werden. So sollte man früh genug beginnen, einen zum Gehalt angemessenen Betrag anlegen, nicht pausieren, möglichst nichts entnehmen und darauf achten, dass das Kapitalanlagemodell ausreichend Rendite abwirft. Aber was bedeutet „früh genug“ konkret? Anfang zwanzig – also wenn viele noch in der Ausbildung sind, studieren und die Persönlichkeitsentwicklung eigentlich derart langfristige Überlegungen noch nicht fördert? Schon mit Mitte oder Ende zwanzig kommt kaum eine meiner Kundinnen ohne die Unterstützung des Arbeitgebers und des Staates zu ausreichend hohen Einzahlungen. Aus dem Netto sind die notwendigen Monatsbeiträge schlicht nicht zu finanzieren. Deshalb ist es notwendig, Einzahlungssponsoren zu finden, wie die bAV sie bietet: Arbeitgeber und Staat. Beide übernehmen einen Teil der Einzahlung, so dass in Summe ausreichend hohe Einzahlungen erreicht werden können.

NewFinance: Und bei Paaren? Wie unterscheidet sich das da?

Cordula Vis-Paulus: In der Prä-Elternphase sind Männer und Frauen nach meiner Erfahrung heute ungefähr gleich aktiv für ihr Renteneinkommen. Wenn Frauen geringere Gehälter haben, ergibt sich dadurch bereits eine geringere Rente. Ansonsten ist der Vorsorgewille meiner Kundinnen vom Geschlecht unabhängig.

In der Elternphase beobachte ich seit vielen Jahren ein Phänomen, welches für die Altersversorgung der Mutter die Grabschaufel bedeutet. Mit zunehmender Geburtsnähe dreht sich alles um den Nachwuchs. Nestschutz first! Frauen rechnen sich dann arm, weil ihr Einkommen wegfällt. Frauen entstrampeln sich von finanziellen Verpflichtungen. Die eigene Altersvorsorge stellen sie hintenan. Mit dem werdenden Vater über eine faire Aufteilung des Familieneinkommens zu sprechen, beobachte ich kaum. Die Konsequenz einer Beitragspausierung für die eigene Altersvorsorge ist nicht bekannt. Das muss sich ändern. Und hier ist auch der Berater gefragt!

NewFinance: Ist hier auch der Staat gefordert?

Cordula Vis-Paulus: Der Staat könnte bAV verpflichtend machen, wie die Neuseeländer es mit der Kiwi-Rente, die Engländer, die Italiener und auch die Schweizer tun. Der Staat könnte den Unternehmen, die ihren Eltern die bAV während der Elternzeit weiterfinanzieren, zusätzliche Erleichterungen schaffen. Immerhin verringert sich dadurch in einigen Jahren die Bedürftigkeit, weil keine Grundsicherung gebraucht wird. Der Staat muss aber auch die Elterngeld reduzierende Wirkung von Entgeltumwandlung in der bAV ersatzlos streichen! Denn es kann nicht sein, diejenigen mit weniger Elterngeld zu bestrafen, die früh finanzielle Verantwortung übernehmen, damit sie später dem Staat nicht auf der Tasche liegen. Zudem müsste die Politik ein Recht auf finanzielle und ökonomische Basisbildung im Gesetz verankern, zum Beispiel als Pflichtschulfach.

NewFinance: Was muss sich denn Ihrer Meinung nach ändern, damit dieses Rentenloch endlich dauerhaft gestopft wird?

Cordula Vis-Paulus: Eine Menge! Grundsätzlich muss natürlich gelten: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Aber man muss darüber hinaus denken. Eltern-Skills zum Beispiel müssen in die Qualifikation einfließen und positiv bei Bezahlung und Karriere berücksichtigt werden. Vor allem muss für die Kinder und Familien ein stressfreies Betreuungsangebot vorhanden sein: erreichbar und finanziell tragbar. Außerdem müssten Arbeitgeber dafür belohnt oder finanziell entlastet werden, wenn sie die Vereinbarkeit von Familie und Karriere unterstützen.

NewFinance: Ihr Credo lautet ja, so viele Menschen wie möglich vor der Altersarmut zu bewahren. Wie sieht das konkret aus?

Cordula Vis-Paulus: Das ist ein Kampf an verschiedenen Fronten. Ein Beispiel: Heute frage ich in Belegschaftsveranstaltungen nach Teilzeitmitarbeitenden und erläutere genau das, was ich hier im Gespräch beschrieben habe. In den Beratungsgesprächen bemerke ich ein hohes Maß an Selbsterkenntnis mit dem Wunsch der Mitarbeitenden, auch für sich allein funktionierende Versorgungskonzepte zu erarbeiten. Daheim machen sie dann wohl die Rechnung auf: Der Partner in Vollzeit kann sein geschäftliches Engagement nur durchziehen, weil der Teilzeitpartner ihm daheim der Rücken freihält. Das Einkommen wird dann neu verteilt und ermöglicht dann eine faire Verteilung von Altersvorsorgeinvestitionen für beide Elternteile.

Mit Unternehmenslenkern spreche ich die Gender-Pension-Gap an, die Personalsituation, die Rolle von Frauen als Mitarbeitenden und Müttern. Ich zeige, dass es – auch unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes – Möglichkeiten gibt, die Frauen (und damit die Familie) zu unterstützen und zu entlasten. So haben mehrere Unternehmen bereits die Weiterzahlung des bAV-Beitrages während der Elternzeit übernommen. Ähnliches kann man sich auch für pflegende Angehörige vorstellen. Nicht jeder Unternehmer kann oder möchte darauf anspringen. Aber immer mehr Personaler und Chefs haben ein immer offeneres Ohr. Eine Entwicklung, die ich neugierig und gespannt verfolge.

Beitragsbild: © Cordula Vis-Paulus

Oliver Mest

Hat Rechtswissenschaften studiert und abgeschlossen, heute schreibender Versicherungsmakler in der NewFinance Redaktion. Wenn er nicht gerade Fachartikel verfasst oder Versicherungen vermittelt, findet man ihn beim Wandern in den Alpen (zur Not auch in Südfrankreich oder an der Nordsee vor der Tür).

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